Alles Leben ist Begegnung

Layoutgrafik Schriftzug

Alles wirkliche Leben ist Begegnung, hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878-1965) geschrieben. So unscheinbar das Wort »Begegnung« zunächst auch daherkommt, so grundlegend und existentiell erscheint es bei näherem Nachdenken. Jedenfalls hat Buber zeit seines Lebens dieses »zwischen uns« in dessen Bedeutung tiefer und tiefer entfaltet. Und davon, wie »Ich und Du« einander begegnen oder eben nicht begegnen, erzählen auch Jugendliche unseres Gymnasiums. Eine dieser Geschichten soll die dritte Adventswoche begleiten:

Irgendwas dazwischen

Zum gefühlt zehnten Mal schaue ich auf die Uhr. Der Sekundenzeiger rennt voran, der Minutenzeiger folgt ihm langsam, aber unerbittlich. Meine Hände schwitzen, ich kralle Finger um Finger in den Stoff meines Kleids. Das kleine Café, in dem wir uns verabredet haben, schmücken Blumen, meine Lieblingsblumen sind auch darunter.
Seit Tagen lebe ich auf das Real-Date mit meinem Crush hin. Meine Blicke verlieren sich nach draußen, schauen verträumten Wolken nach, als mir jemand an die Schulter tippt und ich zusammenfahre, in der großen Erwartung, dass …
Die Bedienung will meine Bestellung aufnehmen. Ich warte noch auf jemanden, sage ich. Aufmerksam schaut mich die junge Frau an, lächelt verständnisvoll, zwinkert mir schließlich zu. Auch ich muss lächeln, dann aber haftet mein Blick wieder ängstlich an Uhr und Zeiger.
Er ist zu spät, klar. Aber hat er mich nicht vorgewarnt? Training und so weiter. Ich blicke beschämt umher, dann wieder auf die Uhr, dann bestelle ich eben doch schon mal was. Die eiskalte Cola vor mir, werden aus fünf Minuten zehn und aus zehn zwanzig. Noch frage ich mich, ob ihm was passiert sei, noch will ich ihn anrufen, als die beiden Bedienungen am Tresen tuscheln, als mich ihre mitleidigen Blicke treffen. Augenblicklich weiche ich aus, drehe mich weg, um dann von den Augen eines älteren Ehepaars abgetastet zu werden. Ich will nicht losheulen und suche einen Punkt im Raum, an dem ich mich festhalten kann.
Klar verstehe ich, was gerade vor sich geht, alle verstehen, was ist: Ich bin sitzen gelassen worden, eine Einsicht, die schmerzt und weh tut – und Tränen, die sich nicht verbergen lassen, die alle sehen. Ich hole tief Luft, versuche, ruhig zu atmen. Und als ich nach der Cola greife, zittern die Hände. Ich ziehe zurück und fasse dann doch nach dem Glas. Ich weiß: Hier kannst du nicht rauskommen. Sitzen blei-ben geht nicht, und Gehen geht auch nicht. Vielleicht ein Blick nach draußen auf die Straße, vielleicht wieder Wolken nachträumen.
Da kann ich plötzlich nicht wegsehen, als mein Blick auf jemanden trifft, draußen vor dem Fenster des Cafés. Ich kneife meine Augen zusammen, lege die Stirn in Falten, greife unbeholfen nach der Cola, verstehe nicht, was vor sich geht, und mache die Augen zu. Und höre jemanden hinter meinem Rücken. Jemanden, der sich unüberhörbar für alle bei mir entschuldigt, zu spät zu sein, der mir zuflüstert: Spiel einfach mit!
Wir plaudern einfach drauf los, vertiefen uns in irgendwelche Gespräche, wir las-sen Zeit verstreichen, wir foppen uns, manchmal lachen wir. Wir beobachten die Menschen, die am Café vorübereilen. Ich fühle mich sowohl unbeschwert als auch gekränkt. Irgendwas dazwischen. Aber das sieht niemand und weiß niemand. Und was wir reden, das hört keiner und geht keinen was an.
Übrigens: Nach einer kurzen, scheuen Umarmung gehen wir unserer Wege und in meinen Händen verberge ich eine von meinen Lieblingsblumen. Ich habe sie im Café mitgehen lassen.

Zurück