Eine Werkschau, die Geschichte spürbar macht

Wie fühlt es sich an, wenn die eigene Heimat plötzlich kein sicherer Ort mehr ist? Wenn man zur Arbeit gezwungen wird, fernab von Familie und Freunden? Diese Fragen standen im Zentrum der Werkschau „Vergessene Schicksale“, die die Mittelstufen-Theater-AG des Gymnasiums am Deutenberg auf die Beine gestellt hat. Das Stück, geschrieben von der Schülerin Karina Rassejkin, beleuchtet das Schicksal von NS-Zwangsarbeitern in Schwenningen und stellt zugleich die Frage, wie wir heute mit dieser Geschichte umgehen. In einem Rundgang durch das Schulhaus wurden die Zuschauer mitten in die Geschehnisse hineingezogen, von einem ukrainischen Marktplatz in den 1940er Jahren bis zu Baracke eines Arbeitslagers in Schwenningen. Szenische Darstellungen, persönliche Botschaften und interaktive Elemente verbanden sich zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Den Auftakt bildete ein Gespräch mit der Autorin des Stückes Karina Rassejkin. Die Schülerin der Kursstufe 1 erklärte, dass der Titel „Vergessene Schicksale“ nicht zufällig gewählt wurde: Die Anfangsbuchstaben stehen für „Villingen-Schwenningen“, zugleich verweist der Name darauf, wie viele Lebensgeschichten der Zwangsarbeiter aus der NS-Zeit aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden sind. „Wir wollten ihnen eine Stimme geben, indem wir ihre Geschichten erzählen“, sagte sie. Besonders bewegend sei es für sie gewesen, ihre eigenen Texte auf der Bühne zu sehen.

Anschließend bewegte sich das Publikum durch verschiedene Räume der Schule, in denen einzelne Szenen des Stücks gespielt wurden. In der kleinen Aula hörten die Zuschauer eine Diskussion aus den 1940er Jahren: Stadtvertreter berieten darüber, ob „bolschewistische Bestien“ tatsächlich in unmittelbarer Nähe deutscher Familien arbeiten sollten – ein Dialog, dessen Formulierungen aus historischen Dokumenten stammen.

Im Schulflur vor der alten Schuluhr erlebte das Publikum die Ankunft ukrainischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeit in Schwenningen, im Aufenthaltsraum eine Essensausgabe: Deutsche Arbeiter erhielten ihr Vesper, die Zwangsarbeiter ein Stück Brot – eine Szene, die durch ihre Schlichtheit umso eindrücklicher wirkte.

Das Barackenlager vor den Aufenthaltsräumen offenbarte die ganz individuellen Schicksale der fiktiven und historischen Figuren von sexuellen Übergriffen über Heimweh und verbotener Liebe. Da bekamen selbst die beiden Lagerwächter Mitleid.

Der letzte Schauplatz war der Schulhof, direkt vor den großen Fenstern, in denen in riesigen Buchstaben „Für Toleranz“ zu lesen war. Hier wurde die Schlussszene gespielt: Wolodomyr Shcherbina, der nach dem Krieg in seine ukrainische Heimat zurückkehrt, dort aber nicht als Opfer, sondern als Verräter behandelt wird. „Du hast für die Nazis gearbeitet!“, rufen ihm seine Landsleute entgegen. Er bricht zusammen. Eine Geschichte, die auch nach Ende des Krieges kein wirkliches Ende fand. Hier wurde dann wieder die Verbindung zur Gegenwart hergestellt: Was bedeutet Erinnerung heute? Welche Verantwortung tragen wir?

Besonders gewürdigt wurde das Engagement der über 50 Schülerinnen und Schüler durch Grußbotschaft von Larisa Ledovskaja, der Tochter von Wolodomyr Shcherbina, dessen Schicksal in dem Stück eine zentrale Rolle spielt. In ihrer Nachricht dankte sie den Schülern dafür, dass die Geschichte ihres Vaters nicht in Vergessenheit gerät.

Mit Florian Kemmelmeier war zudem ein ehemaliger Schüler des GaD zu Gast, der sich inzwischen beruflich mit der NS-Zwangsarbeit befasst. In seiner Einführung setzte er die Grußbotschaft in einen Kontext, erzählte aber gleichzeitig auch ganz persönlich, wie seine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema im Geschichts-Leistungskurs begann – sein damaliger Lehrer Thomas Holzapfl saß nun im Publikum.

Am Ende der Werkschau blieben viele Besucher noch im Raum, diskutierten bei Brezeln und Getränken, blätterten durch die Informationsmaterialien. Wer wollte, konnte an der „Wand der Stolpersteine“ eine eigene Botschaft hinterlassen oder in der Druckausgabe des Stückes schmökern.

Als sichtbares Zeichen der Erinnerung konnte jeder einen Sticker mit der zentralen Aussage des Stücks mitnehmen: „Weil ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geraten darf.“ Die Idee: Die Botschaft soll in die Welt hinausgetragen werden – dorthin, wo sie gehört werden muss.

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